Das Leben als Blauwassersegler auf Langfahrt – Gedanken und Rückblicke zum dreifachen Jubiläum
Wir haben einiges zu Feiern, gleich 3 Meilensteine haben wir auf einmal gerissen, so stelle ich beim Blick auf unsere Webseite fest.
900 Tage Bootseigner, 500 Tage auf See, 90 Tage Karibik
Das diese Tage so aufeinander fallen hätte ich nicht gedacht. Wir hatten nach 100 Tagen auf See getrennt voneinander eine Bestandsaufnahme über unser neues Leben gemacht (hier nachzulesen: Fazit Petra & Fazit Bernd). Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, was ist bisher passiert?
You must be a special breed of mankind
„Ihr müsst schon eine besondere Sorte Menschen sein“. Mit diesem Worten wurden wir nach der Atlantiküberquerung bei der offiziellen Ehrung empfangen. Irgendwie hatte ich nicht den Eindruck, dass uns besondere Menschen umgeben und doch braucht man sicher ein paar Eigenschaften, damit man sich bei dem von uns gewählten Lebensstil wohlfühlt.
Man muss raus aus der Komfortzone, ist für Alles und Jeden – Schiff und Crew – jederzeit verantwortlich.
In und mit der Natur zu leben bedeutet auch ständig den Naturgewalten ausgeliefert zu sein, es gibt keine Pause Taste und keinen Escape Knopf. Auch wenn jeder Willens und verpflichtet ist auf See zu helfen, so ist man doch immer erst einmal auf sich allein gestellt und es kann Stunden oder ehr Tage dauern, bis Hilfe zur Stelle ist, sollt diese mal benötigt werden.
Belohnt wird man mit einer unendlichen Freiheit, den Möglichkeiten seine Reise in nahezu jeden Winkel der Welt zu lenken und ständig neue Dinge zu erleben. „Wann hast du das letzte mal etwas zum ersten mal gemacht?“ Wir können diese Frage sehr regelmäßig mit: „Heute“ beantworten.
900 Tage Bootseigner
Vor 900 Tagen haben wir also auf Rhodos in Griechenland unsere Joline – vormals Tilila – übernommen und sind gegen den Rat des Jachtagenten in die Türkei nach Marmaris übergesetzt. „Das Wetter wird recht stürmisch, besser ihr wartet auf ein Wetterfenster“, so begrüßte er uns am Tag der geplanten Abfahrt, nachdem das Geld beim Verkäufer eingegangen war und alle Papiere fertig zum Ablegen waren.
Warten – das passte leider nicht in unseren Zeitplan.
Mussten wir doch mit unserer 6 köpfigen Crew nach dem Besitzerwechsel auf hoher See und dem Einklarieren in Marmaris noch rechtzeitigt in unserem Winterlager in Didim ankommen. Alle Flüge waren gebucht, das Zeitfenster eng, also ging es los, auch wenn die Vorzeichen auf Sturm standen.
Letztlich hat die Überführung nach Didim gut geklappt und Joline wartete brav den ersten Winter auf uns, während wir zurück nach Deutschland fuhren um letzte Vorbereitungen für unser neues Leben zu treffen.
Zurück in der Türkei haben wir Joline dann erst einmal langfahrttauglich gemacht, zu den ersten Anschaffungen gehörten Solarzellen, Batterien, Inverter, Waschmaschine, Fernseher, Kaffeevollautomat, neues Funkgerät und ein neues Gewand (Lazybag sowie Sommer- und Winterverdeck für Boot und Dinghi), neue Leinen und vieles mehr an Ausstattung. Mit diesem Setup haben wir die erste Saison in der Türkei und die Überfahrt nach Tunesien gemeistert.
Den zweiten Winter hat Joline in der Marina Hammamet in Tunesien verbracht. Von dort ging es dann über Melila und Ceuta nach Marokko und später zu den Kanaren. Von dort sollte die Überfahrt über den Atlantik in die Karibik erfolgen. Doch zuvor brauchte es noch einige Ergänzungen, um für die fast 3000 Seemeilen lange Überfahrt gerüstet zu sein. So bekam Joline einen neuen Unterwasseranstrich, neue Drehflügelpropeller, einen Wassermacher, mehr Solarzellen, zwei neue Segel (Genua und Spinnacker) neues stehendes Gut (Wanten), Starlink und noch mehr Sicherheitsausstattung.
Gut gerüstet gingen wir an den Start der ARC im November – na ja, es war schon spannend und arbeitsintensiv bis zum letzten Tag. Die Überfahrt haben wir zusammen mit unserer Crew gut gemeistert und wir wurden aufgrund unserer ausgefeilten Renntaktik immerhin die Vierten in unserer Bootsklasse. Ein Ergebnis auf das wir durchaus stolz sind, da wir potentiell schnellere und größere Boote auf hintere Plätze verwiesen haben.
Nun sind wir in der Karibik, dem Traumziel vieler Segler und Touristen und genießen das Leben hier in vollen zügen.
500 Tage auf See
Tatsächlich sind wir mit Joline nun schon 500 Tage auf dem Wasser. Ich habe nicht gezählt, was das im Detail bedeutet, wie oft wir die Segel gehisst und wieder geborgen oder sie im Sturm gerefft haben.
Sicher haben wir inzwischen mehr als 100 mal den Anker in den Tiefen des Meeres versenkt und ihm unser Leben anvertraut. Sind eben so oft mit unserm Dinghi an Land gefahren, um die Gegend zu erkunden, essen zu gehen oder um Lebensmittel zu beschaffen.
Joline ist uns bei jedem Wetter ein sicheres Zuhause und wenn uns die Naturgewalten einmal nicht so gesonnen sind, ist es vielmehr eine Frage es Komforts als der Sicherheit.
Inzwischen haben wir zahlreiche Delfine, Wale, Schildkröten, bunte Fische und Korallen entlang unseres Weges gesehen.
„Die schönsten Buchten sind“, wie sagte es die Tage ein Weltumsegler, der seine Runde um die Welt gerade beendet hatte, „auch nur ein weiterer toller Sandstrand mit Palmen“ und doch freuen wir uns auf jede neue Bucht und die Erlebnisse, die ein neues Land mit sich bringt.
Am Ende sind es die Erinnerungen an die Orte, vor allem aber an die Menschen, die wir auf unserem Weg treffen, mit denen wir Freundschaft oder Bekanntschaft schließen und die uns einen Teil der Reise begleiten. Wir freuen uns noch auf ganz viel davon.
90 Tage Karibik
- „Vergiss die Karibik und sieh zu das du so schnell wie möglich durch den Panama Kanal kommst, alles was danach kommt ist besser und du wirst dich über die verlorene Zeit ärgern“
- „Wir sind schon seid mehr als 10 Jahren hier in der Karibik und werden wohl hier bleiben. Es gibt nichts Schöneres, warum sollte man weiter segeln“
Diese und ähnliche Statements haben wir von mehreren Blauwassercrews gehört und an zahlreichen Stellen gelesen. Sicher erlebt jeder von uns andere Begebenheiten und seine Sicht auf die Dinge, seine Erwartungen und Ängste sind individuell. Was uns an geht haben wir uns von Anfang an hier wohl gefühlt. Die Menschen sind uns freundlich und mit Respekt begegnet und wir haben uns zu jeder Zeit sicher gefühlt. Wenn wir Hilfe brauchten, haben wir diese erhalten und wir sind auch nicht über den Tisch gezogen worden, wie man so schön zu sagen pflegt.
Unser Weg hat uns in 90 Tage von St. Lucia über St. Vincent und die Grenadinen nach Grenada und zurück, dann weiter nach Norden über Martinique, Dominica, Guadeloupe, Antigua und Barbuda, St. Barthelemy/St. Barth bis nach Sint Maarten / St. Marten geführt.
Weiter wird es über die British Virgin Islands, US – Virgin Islands und Puerto Rico zu den ABC – Inseln gehen.
Wir werden die Karibik nicht fluchtartig verlassen, sondern das karibische Meer in allen Einzelheiten und Facetten erkunden und genießen. Danach werden wir nicht nach Europa zurück segeln, sondern unsere Reise durch den Panamakanal und in Richtung Südsee und Asien fortsetzen – so ist zumindest im Moment der Plan. Pläne ändern sich – sehen wir mal wie das Ergebnis nach weiteren 500 Tagen aussieht.
Fazit
Wir haben uns jahrelang auf unsere Reise vorbereitet, haben verschiedene Boote gesegelt, um das für uns richtige Modell zu finden und um Erfahrung zu sammeln. Haben Seminare zu Themen wie Sicherheit, Überleben auf See, Medizin und Technik besucht.
Joline – eine Lagoon 421 – ist für uns das richtige Schiff. Wir fühlen uns wohl und genießen die Zeit, sowohl allein, als auch mit Familie, Freunden und Mitseglern an Bord. Unsere Reise treibt uns weiter um die Welt. Wir wollen Reisen – nicht rasen und genügend Zeit haben, um die Welt zu erkunden. Wir haben schon so unendlich viel gesehen und erlebt, das meiste liegt noch vor uns. Nach inzwischen 9.325 Seemeilen bzw. 17.270 Km, die wir in 500 Tagen auf See zurück gelegt haben, zählen wir uns nicht mehr zu den Leichtmatrosen, sondern kommen dem Status Salznacken immer näher.
Das Meer und die Natur geben so viel, machen einen aber auch regelmäßig demütig. Selbstvertrauen und ein wacher Geist gehören dazu. Jeder Tag hält eine neue Überraschung bereit.
Persönlicher Rückblick und Ausblick
Wie geht es mir dabei?
Inzwischen hat sich für mich das Bild weiter geklärt und verfestigt – was sich zunächst wie ein langer Urlaub angefühlt hat, ist inzwischen zum Alltag geworden.
„Sind sie Touristen, machen sie Urlaub?“ Das werden wir tatsächlich des Öfteren gefragt und die Frage hatte ich mir auch schon einige Male gestellt. Meine Antwort lautet dann mittlerweile: „Wir sind Vollzeit – Reisende“.
„Das Schlimmste daran, ein Tourist zu sein, ist, von anderen Touristen als Tourist erkannt zu werden.“
Russell Baker
Das ich für einen Touristen gehalten wurde ist mir allerdings schon länger nicht mehr passiert. Eher das vermutet wird, dass ich von einem Schiff komme und ich gefragt werde, wie dessen Name ist.
Foto Mai 2022
Wir sind mehr oder minder frei in dem was wir tun und wohin wir unseren Kurs lenken. Allein das Wetter und ab und zu die Bestimmungen des jeweiligen Landes und unsere Gäste beeinflussen unsere Ziele und unsere Reisegeschwindigkeit. Wir haben das Privileg in anderen Ländern zu Gast zu sein. Und so habe ich mich auch bisher in jedem Land gefühlt: Respektiert und sicher. Die Menschen begegnen uns meist mit Interesse und sind hilfsbereit, vor allem wenn sie hören das wir auf uns gestellt sind. Natürlich gibt es Länder in denen ich mich wohler fühle oder in denen ich mehr ankomme, als in anderen. Trotzdem möchte ich keine der bisher gemachten Erfahrungen missen.
Der Umgang mit dem Boot und der Natur ist nach so langer Zeit zur Routine geworden. Wie sehr, das merke ich jedes mal, wenn wir „erfahrene“ Mitsegler an Bord haben. Es ist schon ein Unterschied, ob man jeden Tag auf dem Boot und in der Natur ist oder nur im Urlaub oder am Wochenende. Es fühlt sich gut und vertraut an.
Natürlich gibt es Situationen, die wir lieber meiden. Wir können Sturm, aber wir brauchen ihn, besonders bei längeren Passagen, nicht unbedingt. Ein sicherer und ruhiger Ankerplatz garantiert eine ruhige Nacht. Einsame Buchten und Strände sind mir lieber als Touristenansammlungen. Ein gutes Restaurant von Zeit zu Zeit ist wichtig, frisch gefangener Fisch ist noch besser.
Wo ist eigentlich Zuhause?
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, langfristig in einem anderen Land als in Deutschland zu leben. Allerdings ist auf unserer Reise die alte Heimat mit allen Themen weit weg und das Leben in Deutschland verblasst mehr und mehr. Aktuell ist Zuhause ganz klar Joline, ein Stückchen Deutschland, egal wo wir auf der Welt unterwegs sind. Unsere sichere Insel und auf langen Überfahrten – ohne Land und Zivilisation -unsere Zeitkapsel. Ich fühle mich hier sicher und aufgehoben. Das Boot bietet nahezu allen Komfort und wir können längere Zeit autark sein, ohne an Land zu müssen. Strom und Wasser machen wir selbst, Lebensmittel können wir für mehrere Wochen bunkern.
Was machen wir mit der Zeit?
Die Zeit ist hier an Bord flüchtig. Es fällt mir oft schwer zu sagen, welches Datum oder welcher Wochentag gerade ist, so vergehen die Tage und Wochen wie im Fluge. Andererseits scheint sich die Zeit durch die vielen Erlebnisse auch zu dehnen – wenn ich daran denke was ich auf diesem Abschnitt der Reise schon alles erlebt habe – und wir sind auf unserer zweiten Tour noch nicht mal ein Jahr unterwegs.
Ansonsten geht es mir wie früher, der Tag ist zu kurz um alle anstehenden Aufgaben und Projekte zu erledigen. Da wir ständig von Land zu Land reisen, stellt die Reiseplanung und Vorbereitung einen nicht unerheblichen Zeitfaktor dar. Hinzu kommen die alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Wäschewaschen, etc. Weiterhin ist an einem Boot eigentlich immer etwas kaputt oder es muss gewartet werden. So nehmen auch diese Aktivitäten zusammen mit der notwendigen Teilebeschaffung einiges an Zeit in Anspruch. Natürlich darf die Erkundung von Land und Leuten nicht zu kurz kommen – so sind die Tage immer gut gefüllt und es kommt keine Langeweile auf.
Was bringt die Zukunft?
Das kann wohl keiner sagen. Ich wünsche mir, dass wir diesen Lebensstil noch lange beibehalten können., denn er macht mich glücklich und zufrieden und ich kann mir zumindest im Moment nichts Besseres vorstellen. Am wichtigsten ist wohl die Gesundheit. Allein es liegt nicht in unserer alleinigen Macht, wie lange wir fit genug sind.
Petra und ich sind ein gutes, eingespieltes Team. Immerhin konnten wir vor wenigen Tagen ein anderes Jubiläum feiern – unseren 33. Hochzeitstag. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch die Zukunft so gut meistern werden, wie die Vergangenheit. Wir wachsen an unseren Herausforderungen und haben Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Mehr kann man sich an dieser Stelle wohl nicht wünschen.
Wir haben zahlreiche Pläne, die für uns ehr eine grobe Richtschnur sind. Daher passen wir sie regelmäßig an. Zuerst haben wir geplant die gesamte Türkei vom Schwarzen Meer bis nach Antalya in einem Sommer zu erkunden. Jetzt fühlen wir uns schon fast gehetzt, wenn wir die Karibik von Grenada bis Puerto Rico in einer Saison absegeln. Unser Lebensrhythmus wird langsamer.
2 Comments
Sven Guericke
Moin, zunächst herzliche Grüße aus Oldenburg und vielen Dank für diese beeindruckende Rückschau und die Teilhabe an Ihren Gedanken und Erfahrungen. Das hat mich sehr beeindruckt und ich freue mich wirklich für Sie, dass Sie Ihren Weg und Erfüllung auf den Weltmeeren gefunden haben. In Gedanken werde ich als ehemaliger Seemann weiter mit Ihnen „segeln“.
Mast und Schottbruch für Alles, was kommt
Herzliche Grüße
Ihr
Sven Guericke
Bernd
Moin Herr Guericke,
es freut mich sehr von Ihnen zu lesen. Auch wenn das Leben auf See so anders und jeden Tag wieder überraschend ist, so denke ich oft an die Zeit in Vechta zurück. Trotzdem war es gut und richtig diesen Schritt zu gehen. Morgen werden wir übersetzen von St. Marten auf die British Virgin Islands: Wieder eine Nacht auf See – ich freue mich darauf.
Liebe Gruße und alles Gute.
Bernd Gürtler