Dauerurlaub oder Alltag 2.0? – 100 Tage auf See – eine Bestandsaufnahme von Petra
100 Tage unterwegs – ist das noch (Dauer)urlaub oder ist das schon Alltag?
Wie empfinde ich es – ständig neue Orte, neue Begegnungen?
Das Leben unter Segel ansich ist schon entschleunigend – doch je länger wir unterwegs sind, um so langsamer werden wir.
Wo wir anfangs noch täglich in See gestochen sind, voller Neugierde auf das nächste Ziel, werden wir jetzt immer langsamer. Wo es uns gefällt, verweilen wir auch ein paar Tage länger. Das ursprünglich ambitionierte Ziel von Istanbul bis Antalya die Küste rauf und runter zu segeln…und vielleicht auch noch einen Abstecher ins Schwarze Meer zu machen (lächl) hat sich massiv reduziert auf Kekova-Bucht bis Izmir – Bucht – also Schwerpunkt Türkische Ägäis. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass Segeln mit einem Katamaran eine sehr langsame Fortbewegungsart ist. Für eine so weite Strecke müssten wir viele Tage durchsegeln und selbst dann wäre es zeitlich realistisch kaum zu schaffen. Zum anderen wäre eine solche Mammuttour sehr anstrendend. Viele Stunden auf dem Wasser unterwegs sein (der Segler nennt das – lange Schläge -) ist durchaus kräftezehrend, vor allem, wenn viel Wind das Boot auf den Wellen tanzen läßt. Wir wollen ja reisen, nicht rasen und Land und Leute kennen lernen und in uns aufnehmen. Für viele Orte brauchen wir mehr als einen Tag, um sie sich uns zu erschließen und wenn ich an einen Ort zurückkehre (dadurch, dass wir die Küste rauf – und runter segeln gibt es einige Orte, die uns besonders gut gefallen haben und wohin wir gerne zurück kehren), fühlt es sich schon ein bisschen wie Heimat an und vertraut.
Das Leben passt sich den Gegebenheiten vor Ort an, zum Frühstück gibt es jetzt keine Wurst mehr ( da in der Türkei kein Schweinefleisch gegessen wird, fallen auch die uns bekannten Wurst- und Schinkenwaren weg) sondern türkischen Käse und Oliven und Tomaten mit Schafs- oder Ziegenkäse. Es gibt jetzt Bergamotte- oder Granatapfel-Marmelade statt Kirsch- oder Himbeerkonfitüre.
Das Leben wird einfacher, statt begehbaren Kleiderschrank passt meine Kleidung jetzt in eine große Schublade und an ein paar Kleiderhaken. Ich habe mich eingedeckt mit kurzen Hosen und leichten Sommerkleidern – hier soll meine Kleidung vor allem eins sein: luftig und bequem – und bügeln wird sowieso völlig überbewertet…
Es gibt kaum vorgegebene Termine und so passt sich der Tagesrhytmus den eigenen Bedürfnissen an. Wir frühstücken in der Regel spät und essen spät zu Abend. Die heißeste Zeit des Tages ist hier zwischen 16 und 19 Uhr – da ist Chillen und Baden angesagt, das Leben in den Orten beginnt sowieso erst wieder richtig nach Sonnenuntergang.
Wir planen grob unsere Ziele ein paar Tage im voraus und legen die Tagesplanung morgens oder am Abend vorher fest… weitersegeln oder verweilen…shoppen oder chillen… Besichtigung oder Hamam…. Kochen an Bord oder Restaurantbesuch…
Fühlt sich das für mich wie Dauerurlaub an oder wie Alltag?….Blauer Alltag?
Ja es gibt natürlich auch immer wiederkehrende Arbeit an Bord… Kochen, Spülen, Putzen, Aufräumen, Wäsche waschen… Bürokram…
Urlaub dient per Definition der Erholung… wenn die Erholung einsetzt, endet dann der Urlaub? Was schließt sich an? Alltag? Alltag ist per Definiton ein gleichförmiges tägliches Allerlei… Davon bin ich hier weit entfernt – das Leben auf dem Wasser hat ständig Veränderung,Bewegung und hält ständig Überraschungen bereit – wenig ist planbar…und oft kommt es anders als gedacht.
Ich betrachte das Leben auf dem Boot als eine Lebensart…meine Wunschlebensart, zumindest im Moment… eine Reisende… unterwegs mit einem Stück Heimat, dem Boot, das vertraut ist, Sicherheit bietet, Zufluchtsort ist – vertraute Umgebung in der Fremde…
Petra SY Joline – 01.09.2022